Kann man Kinder zu ernst nehmen?
In der Online-Ausgabe der »Zeit« gab es neulich einen Artikel mit der Überschrift: »Eltern nehmen ihre Kinder viel zu ernst«, darin war ein Interview mit dem Generationenforscher Rüdiger Maas.
Zu ernst? Kann man ein Kind »viel zu ernst« nehmen? Ist das nicht eigentlich der Kern des Eltern-Daseins: Die eigenen Kinder ernst zu nehmen?
In meine Coachingpraxis kamen Eltern, die aufgrund von Problemen in der Schule entschieden hatten, sich ihre familiäre Situation genauer anzuschauen. Sie erzählten, dass es daheim Situationen gäbe, die sie unfassbar anstrengen würden. Es stellte sich nach und nach heraus, dass sich in ihrer Familie alles um die beiden Kinder drehte. Die Eltern hatten sich dieser Aufgabe völlig verschrieben, waren in ihrem Handeln sehr auf die Kinder ausgerichtet. Sie glaubten, sie müssten ihre Kinder und alles, was diese wollten, sehr ernst nehmen. Die Konsequenz war, dass sie sich selbst, ihre Grenzen und Bedürfnisse zunehmend vernachlässigt hatten. Zum anderen wurde das Verhalten der Kinder immer auffälliger, denn ihnen fehlte der klare Rahmen und eine Orientierung.
Im Laufe des Coachingprozesses gelang es den Eltern, sich selbst als Personen wieder mehr in den Blick zu nehmen: Sie erzählten abends beim Essen auch von ihrem Tag, von gelungenen Momenten und Herausforderungen (natürlich auf kindgemäße Weise). Sie ließen sich weniger auf Diskussionen ein, sondern blieben mit Klarheit bei einem NEIN. In den nun regelmäßigen Familienkonferenzen äußerten auch sie ihren Unmut und ihre Wünsche.
Was mich persönlich am meisten freute, war, dass sich in diesem Prozess ganz langsam und doch sehr deutlich die innere Haltung der Eltern änderte: Wir tragen die Verantwortung, wir steuern das Familienschiff nach bestem Wissen und Gewissen. Wir achten besser auf uns und nehmen auch unsere Gefühle und Bedürfnisse ernst. Unseren Kindern geben wir Sicherheit, mit Unsicherheiten gehen wir selbst und miteinander um oder lassen uns beraten.
Dass Eltern ihre Kinder und sich selbst ernst nehmen, ist eine grundlegende Voraussetzung für ein Gleichgewicht im System Familie.