Interview mit Cora Bures
Cora Bures arbeitet seit 2006 als Beraterin und seit 2019 als Leitung und Geschäftsführung bei Brennessel e. V. – Hilfe gegen sexuellen Missbrauch. Sie ist Leitung und Geschäftsführung der Beratungsstelle Brennessel in Ravensburg und Geschäftsführung der Beratungsstelle Brennessel in Biberach.
Monika Reetz:
Liebe Cora Bures!
Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, mit Dir ein Interview zu führen! Während eines längeren Gespräches zu Beginn des Jahres haben wir festgestellt, dass es in unseren beiden Tätigkeiten einige »Schnittstellen« gibt. Das klingt nun sehr technisch, tatsächlich war das für mich ein überaus bereicherndes Gespräch mit Blick auf Kinder und die Stärkung ihrer Resilienz! Aus dieser Begeisterung heraus entstand die Idee, Dich einmal zu interviewen!
Kannst Du Deine momentane Tätigkeit kurz skizzieren?
Cora Bures:
Die Beratungsstelle Brennessel bietet spezialisierte Fachberatung bei Sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. Ich bin in der Beratung und berate die Bezugs- und Vertrauenspersonen, die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch Fachkräfte und Erwachsene, die in ihrer Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlitten haben. Zur Tätigkeit gehört aber auch die Präventionsarbeit.
M. R.:
Hast Du also mit Kindern und Jugendlichen direkt zu tun?
C. B.
In der Beratung und in der Prävention bin ich in direktem Kontakt mit Kindern und Jugendlichen. In der Beratung weiß ich, dass ich ein betroffenes Kind vor mir habe, in der Präventionsarbeit – z. B. in Schulprojekten – weiß ich es nicht. Aber wenn ich davon ausgehe, dass statistisch gesehen in jeder Klasse 2 betroffene Kinder sitzen, braucht es auch in der Prävention einen traumasensiblen Umgang.
M. R.:
Wie gestaltet sich genau die Arbeit mit den Eltern?
C. B.
Auch hier kommt es auf den Auftrag an. In der Beratung geht es häufig um Vermutungen, ein Verdacht oder auch einen aufgedeckten sexuellen Übergriff. Die schützenden Bezugspersonen sind emotional meist sehr verunsichert und sie suchen Orientierung und Sicherheit, damit sie mit der Situation umgehen und das Kind schützen können. In der Prävention geht es mehr um Sensibilisierung und Aufklärung, aber auch um Stärkung.
M. R.:
An welchen Grundsätzen orientiert sich Eure Präventionsarbeit?
C. B.
Unsere Präventionsarbeit hat den Leitsatz: Kinder können sich nicht selbst schützen – wir Erwachsene sind für den Schutz verantwortlich. Kinder sollen ermutigt werden, ihren Gefühlen zu vertrauen und sich Hilfe zu holen, wenn eine Situation unangenehm ist, sie unter Druck gesetzt werden. Erwachsene brauchen ebenfalls Ermutigung – sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, hinzusehen, Verantwortung für den Schutz des Kindes zu übernehmen und sich dabei unterstützen zu lassen.
M. R.:
Mit Blick auf die Resilienzstärkung von Kindern hellip; was würdest Du sagen ist diesbezüglich das Wichtigste?
C. B.
Es geht darum, dass sie sich wertgeschätzt fühlen, sich vertrauen können, Talente entdecken und leben dürfen und somit ein positives Selbstbild entwickeln. Dies ist wiederum eine wichtige Grundlage für eine positive Beziehung zum eigenen Körper, zur eigenen kindlichen Sexualität und in der Pubertät gibt dies Orientierung für die sexuelle Selbstbestimmung.
M. R.:
Worauf genau sollten Eltern achten, wenn sie ihre Kinder stärken und auch vor Übergriffen schützen möchten?
C. B.
Letztendlich ist es wichtig, dass sich die Eltern selbst mit der Thematik auseinandersetzen bzw. Handlungsstrategien entwickeln: Was kann ich tun, um mein Kind zu stärken? Wo kann ich mir Unterstützung holen, wenn ich Fragen habe und unsicher bin? Wenn Kinder spüren, dass die Eltern dem Thema nicht aus dem Weg gehen, dann trauen sie sich eher, sich anzuvertrauen bzw. Hilfe zu holen.
M. R.:
Eine Gemeinsamkeit bei uns ist auch die Liebe zu Literatur und explizit auch die Idee, mit Büchern die Resilienz zu stärken. Erzähle doch kurz von dem Projekt, welches bei Euch so eine gute Resonanz hatte!
C. B.
Es entstand aus der Idee, Ressourcen zu nutzen und so der Sprachlosigkeit und dem Ohnmachtsgefühl entgegenzuwirken. Unser Projekt heißt »Mit Büchern Kinder stärken – Prävention gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend«. Mit Buchbeispielen werden die Aspekte der Prävention angesprochen und praktisch mit Zitaten aus den Büchern verdeutlicht: z. B. Kinderrechte, Wertschätzung, positives Körperbewusstsein und Begleitung in der sexuellen Entwicklung, Gefühle ausdrücken können und der eigenen Wahrnehmung trauen, Nein sagen und über schlechte Geheimnisse reden dürfen. Und es gibt sehr gute Bücher, die altersentsprechend das Thema Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe aufgreifen ohne Angst zu machen, sondern ermutigen, sich Hilfe holen zu dürfen.
Die Rückmeldungen bestätigen auch meine Erfahrung: Bücher sind eine gute Brücke und können Schutzfaktor sein.
M. R.:
Vielen Dank für dieses interessante Interview, liebe Cora, und alles Gute für Deine wichtige Arbeit!