Interview mit Bianca Niermann: Babys und Resilienz
Seit 18 Jahren arbeitet Bianca Niermann als Schlafcoach mit Eltern von Säuglingen und Kleinkindern; seit 2014 bildet sie auch andere Schlafcoaches aus. Hier mein Interview mit ihr:
Monika Reetz:
Liebe Frau Niermann! Wir wollen heute über die Resilienz, also die Widerstandskraft junger Eltern sprechen, die gerade ein Baby bekommen haben. Das ist ja in vielerlei Hinsicht eine besondere Situation, eine Phase, in der es, aus meiner Sicht, besonders auf die drei wichtigsten Säulen der Resilienz ankommt: Akzeptanz, Lösungsorientierung und Zuversicht. Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung sagen: Was beschäftigt die meisten jungen Eltern zu Beginn in besonderer Weise?
Bianca Niermann:
Gerade als frischgebackene Eltern ist die physische Erschöpfung durch den Schlafmangel unerwartet hoch, besonders in der Anfangszeit nach der Geburt. Die hormonelle Umstellung und das Stillen erfordern viel Kraft der Mutter. Auch der Kontrollverlust bzgl. des Tagesablaufes, der nun von dem Baby bestimmt wird, der Bruch mit dem zuvor etablierten Alltagsleben, die Rollenfindung als Eltern und die teilweise Isolation, viel mit dem Baby allein zu sein, das alles ist ja nur schwer vorhersehbar. Da kann es schon mal zu Krisen kommen!
M. R.:
Das klingt so, als wäre die Akzeptanz das, was zunächst besonders gefordert ist. Es dauert gewiss eine Zeit, bis Eltern in ihre Rolle hineinwachsen und auch die Verantwortung für das Baby gänzlich realisieren.
B. N.:
Ich glaube, Akzeptanz und das Wissen über diese typischen Veränderungen im Übergang zur Elternschaft sind eine enorme Hilfe, Vertrauen in eine positive Zukunft zu haben. Vor allem ist es wichtig, zu verinnerlichen, dass Krisen normal sind und dass es fast allen werdenden Eltern so geht. In dieser Phase der kognitiven und emotionalen Bewältigung im Übergang zur Elternschaft haben die meisten noch wenig stabile Überzeugung von der eigenen Kompetenz als Eltern, was aber gleichzeitig auch völlig normal ist.
M. R.:
Was genau meinen Sie mit der »eigenen Kompetenz als Eltern«?
B. N.:
Normalerweise bringen Eltern eine natürliche Kompetenz mit, wie z. B. die Sprache des Babys zu verstehen. Diese Kompetenz muss allerdings erst noch reifen, dazu braucht es Erfahrung und Übung mit dem eigenen Kind. Eltern sind also in der Lage, in Resonanz mit dem Baby zu gehen und auf seine Bedürfnisse zu reagieren. Wir wissen aus der Säuglingsforschung, dass sich im ersten Halbjahr Pflege und Versorgungsgewohnheiten herausbilden, der Säugling auch zunehmend sozial aktiv wird und die Eltern Interaktionserfahrungen sammeln, die ganz von selbst zu zunehmendem Selbstvertrauen als Mutter oder Vater führen.
M. R.:
Das heißt, zu Beginn braucht es viel Vertrauen und Zuversicht mit Blick auf die familiäre Situation?
B. N.:
Bei der Zuversicht würde ich sogar noch „Mut zur Zuversicht“ ergänzen. Es erfordert oft wirklich Mut sich für eine positive Einstellung zu entscheiden! Eine zuversichtliche Einstellung zu entwickeln ist wichtig, um sich von Ängsten und negativen Gedanken nicht überwältigen zu lassen, gerade wenn das Umfeld, und besonders die digitalen Medien verunsichern.
Was den Babyschlaf betrifft, gibt es viele Unsicherheiten und Ängste. Der wird aber besser! Das Baby braucht nur etwas Zeit und viel Unterstützung bei der Selbstregulation. Hier erlebe ich Eltern heute enorm unter Druck, bloß den Kindern nichts Falsches anzugewöhnen, was sie später nicht mehr loswerden könnten, wie z.B. das in den Schlaf stillen oder das Kind zu Tragen oder bei ihm zu liegen, wenn es einschläft.
M. R.:
Neben Akzeptanz und Zuversicht ist eine tragende Säule der Resilienz die Lösungsorientierung. Inwiefern könnte es Müttern helfen, diese Lösungsorientierung zu verinnerlichen?
B. N.:
»Lösungsorientierung« im Umgang mit den Bedürfnissen des Babys kann zum Beispiel bedeuten, dass ich mir als Mutter Unterstützung und Hilfe hole. Auch andere Betreuungspersonen können das Baby versorgen, es zum Beispiel wickeln, trösten, ihm Geborgenheit schenken, das darf dann auch gerne mal die Oma oder die Tante sein, damit sich die Mutter erholen oder mal schlafen kann. Liebevolle Zuwendung und körperliche Nähe kann darüber hinaus selbstverständlich auch der Vater spenden, damit sich das Kind sicher und geborgen fühlt. Sich als Eltern von Anfang an gleichberechtigt abzuwechseln ist eine hervorragende Lösung für Eltern und Kind.
M. R.:
Vielen Dank, Frau Niermann, für dieses interessante Interview! Ich verstehe Sie so, dass »Resilienz« für die gesamte Familie von Anfang an ein wichtiges Thema ist, auch für werdende Eltern!
Ich freue mich, dass wir diese Aspekte zukünftig verstärkt gemeinsam beleuchten werden und bin gespannt darauf, mit Ihnen im Herbst dazu auch Workshops anzubieten!
→ zur Website von Bianca Niermann